1 × 1 =

dreizehn + vierzehn =

Kinder unterschiedlicher Herkunft sind hier besonders willkommen! Das ist ein Leitgedanke des AWO Integrationskindergartens in Nesse, der nicht weit von der Nordseeküste in einem 800-Seelen-Ortsteil der niedersächsischen Gemeinde Dornum liegt. Seit vor knapp drei Jahren viele Familien mit Fluchthintergrund die Gemeinde und damit auch in die Kita kamen, zeigt die Einrichtung, Finalist beim Deutschen Kita-Preis 2019, dass sie diesen Leitgedanken mit Engagement im Kita-Alltag umsetzt.

Anhand von fünf Beispielen macht uns die Erzieherin Gerlinde Lamberti anschaulich, wie beim Ankommen geflüchteter Kita-Kinder Sprachbarrieren überwunden werden können und welche Rolle ihre Eltern dabei spielen.

1. Beobachten, wie es Kindern und Eltern geht

Jedes neue Kind und jede Familie ist anders. Sowohl für sie als auch für das Personal ist die Eingewöhnung Neuland. Wir bitten die Eltern – meistens sind es die Mütter – ihre Kinder zu Beginn der Kita-Zeit in die Gruppen zu begleiten. So können sie den Alltag bei uns miterleben und gemeinsam mit ihren Kindern eine Bindung zu den Fachkräften aufbauen. Dabei beobachtet das Personal das Verhalten der Kinder und ihrer Eltern aufmerksam, um herauszufinden, wie es ihnen in einer bestimmten Situation geht und ob sie sich wohl fühlen. Das ist umso wichtiger, wenn diese die deutsche Sprache (noch) nicht sprechen. Körpersprache und Mimik zeigen ziemlich genau, wie sie sich fühlen. Wenn eine Mama beispielsweise unruhig wird, signalisieren wir, dass sie heute auch früher gehen kann, wenn sie mag.

Die Kinder finden über Puppen und Rollenspiele leichter Zugang zu Gleichaltrigen und zur Kita

Wenn geflüchtete Kinder ohne Eltern in der Gruppe sind, schauen wir ihnen beim Spielen genau zu. Was macht ihnen Freude? Was Angst? Was kennen sie vielleicht schon aus ihrer Heimat? So haben wir beispielsweise herausgefunden, dass viele der Kinder über Puppen und Rollenspiele leichter Zugang zu Gleichaltrigen und zur Kita finden. An solchen Beobachtungen können wir dann gut ansetzen: Mittlerweile stellen wir mehr Material und mehr Platz für Puppen- und Rollenspiele zur Verfügung.

Rollenspiel in der Kinderküche: So finden Kinder aller Nationen Zugang zueinander (Foto: AWO Kindergarten Nesse).

2. Eltern lernen die neue Sprache mit

Wir wünschen uns eine Erziehungspartnerschaft. Deshalb ist es wichtig, auch die Eltern ins Boot zu holen. Als damals die Mütter mit Fluchterfahrung in unserem Räumlichkeiten warteten, während ihre Kinder die ersten Stunden allein in der Gruppe verbrachten, boten wir ihnen spontan einen Deutschkurs an. Daraus entstand dann unsere „Mama-Schule“, in der Eltern nicht nur unsere Sprache lernten, sondern auch erste Kontakte zu anderen Müttern knüpfen konnten. Das Interesse anderer Familienangehöriger und Menschen ohne Bezug zur Kita war so groß, dass die „Mama-Schule“ jetzt „Lern-Café“ heißt und in den Räumlichkeiten der Gemeinde angeboten wird.

„Oh, die Mama macht auch mit. Dann ist das, was hier vor sich geht, sicher in Ordnung.“

Neben dem Spracherwerb ist es wichtig, dass wir die Eltern auch im Kita-Alltag oder bei Festen so oft wie möglich positiv einbeziehen. Schließlich beobachten gerade die Jüngsten in neuen Situationen auch die Reaktion ihrer Eltern. Wenn kleines Kind zum Beispiel sieht, wie seine Mutter versucht, beim Fingerspiel mitzusingen und dabei Freude hat, wird es sich wahrscheinlich denken: „Oh, die Mama macht auch mit. Dann ist das, was hier vor sich geht, sicher in Ordnung.“

3. Zeit nehmen für die Kommunikation

Überall auf der Welt gleich beliebt: Mit Puppen spielen (Foto: AWO Kindergarten Nesse).

Die Familiensprache der Kinder ist wichtig und fördert den Erwerb der Zweitsprache. Dennoch freuen wir uns, wenn geflüchtete Eltern von selbst versuchen, mit uns Deutsch zu sprechen, während sie in der Kita sind. Deshalb nehmen wir uns in der Bring- und Abholsituation bewusst Zeit für die Kommunikation. Wenn Eltern den Mut zeigen und versuchen, Deutsch zu sprechen, signalisieren wir: Lassen Sie sich ruhig Zeit, wir hören zu. Fotos, Zeichnungen, Kalender, Bücher, Uhren und natürlich Hände und Füße kommen dabei unterstützend zum Einsatz. Wichtige Informationen im Flur oder Elternbriefe lassen wir übersetzen, außerdem laden wir Dolmetscherinnen oder Dolmetscher zu Elternabenden ein, wenn es nötig ist. Bis jede Information übersetzt und verstanden wird, ist ebenfalls Geduld erforderlich. 

4. Unterstützen und Kontakte in die Gemeinde vermitteln

Die Kinder und ihre Familien sollen spüren, dass sie in der Kita und in der Gemeinde willkommen sind. Neben der Kirche ist unsere Kita die größte Einrichtung in unserem Örtchen, so dass hier viele Familien mit Fluchthintergrund ein- und ausgehen. Viele haben Vertrauen zu uns gefasst und kommen neben sprachlichen oder kulturellen Verständnisfragen auch mit anderen Anliegen auf uns zu. Wir versuchen, ihnen unbekannte Sachverhalte zu erklären und nutzen unser lokales Netzwerk, um zu helfen. Etwa, um gemeinsam mit den Eltern einen Sportverein für die Kinder oder eine andere Gemeinschaft außerhalb der Kita zu suchen. Dort können sie vielleicht Kontakte zu Einheimischen knüpfen und die deutsche Sprache weiter üben.

5. Muttersprache und eigene Kultur bleiben präsent

Dass die neuen Kinder mit unserer Sprache auch bestimmte Gebräuche kennen lernen und idealerweise auch verstehen, ist schon wichtig. Gleichzeitig sollen aber auch deren eigene Muttersprache und Gebräuche präsent bleiben. Wir zeigen, dass wir uns dafür interessieren. Beispielsweise lassen wir die Kinder Alltagsgegenstände, Wochentage oder das Essen in ihrer Sprache benennen, Lieder oder Gedichte vortragen. Oder wir fragen nach, was oder wie sie zuhause essen. Einmal haben alle Kita-Kinder für eine Mahlzeit gemeinsam auf dem Fußboden gesessen – so wie es in Syrien manchmal Brauch ist.

An diesem Buffet durften sich alle Kinder bedienen, bevor sie gemeinsam auf dem Boden sitzend gegessen haben (Foto: AWO Kindergarten Nesse).

Ebenso fördern wir übrigens auch die Muttersprache jener Kinder, die hier an der Nordsee ihre Wurzeln haben: Das Plattdeutsche. Manche Kinder sprechen zuhause nur platt, allen anderen begegnet der Dialekt immer wieder im öffentlichen Leben, etwa beim Arzt oder im Laden. Da ich selbst Muttersprachlerin in Plattdeutsch bin, lasse ich den Dialekt bewusst beim Morgenkreis oder im Kita-Alltag einfließen.

So hoffen wir, allen unseren Kindern über die verschiedenen Sprachen sowohl Sicherheit zu vermitteln als auch Neugier zu wecken.

Auch interessant:

„Hier kann ich selbst entscheiden“

Auf einem Kita-Rundgang haben uns Kinder gezeigt, was sie alles selbst bestimmen können und welche Regeln sie dafür beachten müssen.

Konzepte unter der Lupe: Was ist eine Montessori-Kita?

In Teil 5 der Serie zu  pädagogischen Konzepten wird die Montessori-Pädagogik näher beleuchtet.
 

Partizipation und Kindorientierung: Was denkt ihr?

Wenn Erwachsene die Kinder methodisch nach Ihren Wünschen fragen, können sie Erstaunliches herausfinden.