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Welche Kita passt am besten zu uns und unserem Kind? Bei der Wahl der Betreuungseinrichtung spielt die pädagogische Ausrichtung eine wichtige Rolle für Eltern. Hier den Überblick zu bewahren, ist gar nicht so einfach. Denn es existieren zahlreiche gute pädagogische Ansätze für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in Kitas.

In unserer neuen Beitragsserie stellen wir die Besonderheiten der verschiedenen Betreuungskonzepte vor und zeigen anhand eines praktischen Beispiels, wie Kinder und Eltern im Kita-Alltag von der jeweiligen pädagogischen Ausrichtung profitieren.

Teil 2 der neuen Serie: Freinet-Pädagogik

Die Kinder haben das Wort

Das Konzept der Freinet-Kitas hat seinen Ursprung in einer Bewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts von einem französischen Reformpädagogen, Célestin Freinet, initiiert wurde. Das Schulkonzept dieses Lehrers stellte das Kind in den Mittelpunkt des Handelns: Die Jungen und Mädchen sollten ihre Fähigkeiten, ihre Persönlichkeit und Selbständigkeit bestmöglich entfalten können. Aus diesem Ansatz für Schulen erwuchs in den 80er Jahren hierzulande auch eine Pädagogik für Kindertageseinrichtungen.

Die Lebenswelt der Kinder bestimmt die Inhalte und den Motor ihres Handelns

Die Freinet-Pädagogik basiert auf Prinzipien wie Freiheit, Verantwortung sowie Sinn und Bezug zum Leben. Die Ausstattung der Kita-Räumlichkeiten fördert die kindliche Entwicklung, es gibt viele Möglichkeiten zum Experimentieren und Ausprobieren. Die Kinder können Spielorte, Spielpartner sowie das Material frei aussuchen sich auch ihre Zeit frei einteilen. Die Pädagogik fördert das entdeckende Lernen, das sich an den Fragen und Anliegen der Kinder orientiert. Diese bekommen keine Themen vorgegeben, sondern können selbstbestimmt und selbständig „arbeiten“, wie Freinet das Spielen und Lernen der Kinder nannte.

Die Lebenswelt der Kinder bestimmt die Inhalte und den Motor ihres Handelns. Die Kleinen sollen für sich sinngebend tätig sein können. Unterschiedliche Materialien und Methoden ermöglichen ihnen, sich auf vielen Ebenen frei auszudrücken. Zum Beispiel im Dialog, in Ateliers, im Rollenspiel und im Theater, in Mitbestimmungsgremien, in Stuhlkreisen oder sogar nonverbal.

Die pädagogischen Fachkräfte begleiten die Kinder und treten mit ihnen in einen Dialog. Sie geben einerseits Impulse, halten sich andererseits aber auch mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen bewusst zurück, damit die Kinder eigene Lernwege finden und probieren. In einer Freinet-Kita werden Kinder ernsthaft an Entscheidungen und der (Selbst-)Organisation des Kita-Alltags beteiligt. „Den Kindern das Wort geben“ ist ein Leitspruch, der viel über die kindzentrierte, dialogische und machtkritische Haltung der Freinet-Pädagogen aussagt.


Freinet-Pädagogik in Bildern

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3 Fragen an eine Freinet-Kita

Kindertagesstätte „Lüttje Lü“, Aschhausen

In der Kita „Lüttje Lü“ im niedersächsischen Aschhausen, einem Ortsteil der niedersächsischen Gemeinde Bad Zwischenahn, wird die Freinet-Pädagogik gelebt. Was diese Ausrichtung für den pädagogischen Alltag bedeutet und wie die Kita-Kinder hiervon profitieren – davon berichtet die Kita-Leiterin Kerstin Kreikenbohm. Die Einrichtung ist eine der Finalisten-Kitas für den Deutschen Kita-Preis 2019.

Warum haben Sie bzw. Ihre Einrichtung sich für genau dieses Konzept entschieden? Worin sehen Sie die besonderen Stärken dieses Ansatzes?

Wir haben vor etwa zwölf Jahren „Das Leben leben“ als Leitidee für unser Haus formuliert und uns vorgenommen, die Angebote für die Kinder nicht länger in Besprechungen für sie und damit oft an ihnen vorbei zu planen. Stattdessen begannen wir, ihnen das Wort zu geben und ihre Lebenswelt zur Grundlage der Aktivitäten zu machen. Eine Teamfortbildung zu „Freinet“ war der Ausgangspunkt eines Lernprozesses, der bis heute anhält.

Die Kita ist für viele Stunden Lebensraum der Kinder. Und jedes hat andere Erfahrungen, Lebenssituationen, Bedürfnisse und Forscherfragen. Darum erwarten die Fachkräfte die Kinder auch nicht mit Programmpunkten, sondern mit viel Zeit für deren Ideen und Anliegen. Sie gehen auf die Anliegen der Kinder ein, statt auf später zu vertrösten. Das erfordert Flexibilität und gute Absprachen im Team, denn alle Fachkräfte können in allen Räumen tätig sein und müssen immer offen sein für Neues. Nicht zuletzt beziehen wir auch die Eltern und die Menschen im Umfeld der Kita mit ein.

Die Beteiligung und Eigentätigkeit der Kinder ist mit den Jahren immer selbstverständlicher geworden – und beschert dem Team und den Eltern viele Anlässe zum Staunen: Zu erleben, wie ernsthaft und motiviert die Mädchen und Jungen ihre Anliegen verfolgen, rührt an. Im Dialog mit den Kindern erfahren wir, was sie wirklich bewegt und was ihnen wichtig ist. Das fordert uns heraus – denn wir begeben uns in Situationen mit offenem Ausgang und in Themen, die uns selbst fremd sind. Dies macht uns mit den Kindern gemeinsam zu Lernenden und fördert gleichwürdige Begegnungen.

Kinder und Pädagogen machen sich gemeinsam auf die Suche nach den Antworten auf Alltagsfragen

Wodurch hebt sich das Konzept einer Freinet-Kita Ihrer Meinung nach von anderen pädagogischen Konzepten ab?

DIE Freinet-Pädagogik gibt es nicht – und damit auch keine methodischen und materiellen Vorgaben. Die Pädagogen machen sich gemeinsam mit den Kindern auf die Suche nach den Antworten auf die Fragen, die sich aus dem Leben und Handeln der Kinder ergeben. Die Jungen und Mädchen sind keine Objekte, die von Erwachsenen in die vermeintlich richtige Richtung gelenkt, gebildet und erzogen werden. Vielmehr sind die Kinder als handelnde Subjekte, die aus sich heraus zielgerichtet handeln und mit ihrem Tun einen Sinn verfolgen. Dieser erschließt sich uns Erwachsenen vielleicht nicht immer, aber wir vertrauen und achten darauf.

Hervorzuheben ist auch die Konsequenz, mit der sich Erwachsene auf offene Prozesse und die Entscheidungen der Kinder einlassen. So spüren schon die Kleinen, dass sie selbstwirksam sein können und Einfluss haben. Dabei werden sie nicht allein gelassen, die Erwachsenen haben eine aktive und beziehungsfördernde Rolle – keinesfalls gilt „jeder macht hier, was er will“. In der Freinet-Pädagogik geht es immer um das Leben in einer Gemeinschaft: Die Menschen sind im Dialog, lernen mit- und voneinander, stellen Regeln auf, treffen demokratische Entscheidungen und übernehmen Verantwortung dafür.

Ein wesentlicher Faktor ist auch, dass der Alltag und das entdeckende Lernen der Kinder bei Freinet nicht in Programme und vorbereitete Angebote „verpackt“ wird: Im Tun der Kinder und in ihrer wechselseitigen Beziehung mit den Fachkräften auf Augenhöhe entwickeln sich spannende und wertvolle Prozesse von selbst.

Pädagogische Konzepte unter der Lupe

Hier finden Sie alle Beiträge auf einen Blick!

Wie leben Sie das Konzept der Freinet-Pädagogik im Kita-Alltag? Können Sie hierzu konkrete Beispiele geben?

Unsere Kinder haben täglich mehrere Stunden am Stück unverplante Zeit zum „Arbeiten“. Sie können sich gruppenübergreifend frei im Haus, Flur und Außenbereich bewegen und dabei selbst über Spielorte, Material und Spielpartner entscheiden. Wir geben nicht vor, in welchem Raum wie viele Kinder aus welcher Gruppe spielen dürfen – das reguliert sich von allein. So können alle Kinder in Ruhe oder gemeinsam mit anderen Kindern Ideen entwickeln, Erlerntes wiederholen, verschiedene Materialien oder Methoden testen, Pausen einlegen, Hürden überwinden oder an Erfolgserlebnisse anknüpfen, um ihre Ideen oder Fähigkeiten auszubauen. Die großzügigen Zeitfenster ermöglichen es den Erwachsenen, flexibel, spontan und vor allem im Dialog auf die Kinder einzugehen.

Unser Raumkonzept enthält viele Bereiche, die nicht bzw. kaum möbliert sind. Hier entstehen ständig neue Spielräume, die sich aus dem Spiel und den Themen der Kinder ergeben. Das Material ist frei zugänglich und fördert den „freien Ausdruck“ der Kinder.

Im Mittelpunkt steht das (Er)-Leben des Kindes

Partizipation wird nicht nur zu bestimmten Gelegenheiten angewandt, sondern ist Basis des „gut gelebten Kita-Alltags“: Die Kinder können sich in Gremien an Planungen und Entscheidungen beteiligen, im täglichen Ablauf wirksam Einfluss nehmen und ein hohes Maß an Selbstorganisation nutzen. So erwachsen auch die Themen von AGs und Projekten aus den Ideen und Anliegen der Kinder. Die Erwachsenen übernehmen hier die Rolle der Dialogpartner, Moderatoren, Begleiter, Impulsgeber und Bezugspersonen.

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht das (Er)-Leben des Kindes – sowohl in der Kita als auch im Umfeld. Freinet sagte: „Verlasst die Übungsräume!“ Wir öffnen unsere Türen gerne: um die Welt zu erobern und um das, was außerhalb der Kita Bezug zum Alltag der Kinder hat, mit ihnen zu erleben.

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