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Kaum ein Spielbereich fasziniert kleine Kinder mehr als das Bällebad: In das Meer von kleinen bunten Plastikkugeln kann man prima hinein rutschen und springen, oder sogar ganz darin abtauchen. Während Kinder dort mit viel Freude spielen, werden nebenbei und ganz automatisch verschiedene Fähigkeiten wie Motorik und Fantasie gefördert.

Genauso spielerisch und intuitiv können die Kinder der Kita Kleiner Globus in Dresden, Nominierte des Deutschen Kita-Preises 2020, neben der deutschen eine weitere Sprache lernen. Nämlich Englisch oder Russisch, je nachdem, welche der vier so-genannten Immersionsgruppen sie besuchen. Der Begriff „Immersion“ kommt aus dem Lateinischen, bedeutet „Eintauchen“ und steht für einen sprachpädagogischen Ansatz, der – spielerisch wie im Bällebad – eine neue Sprache vermitteln soll: Das „Sprachbad“.

Eine neue Sprache im Alltag erleben

Wie Immersion in der Kita gelebt werden kann, veranschaulicht Katja Flessner, Logopädin und integrative Frühpädagogin im Kleinen Globus am Beispiel der Gruppe Warumka. Der Gruppenname ist ein deutsch-russisches Phantasiewort, das zum Fragen anregen soll. Die dort tätige Erzieherin Lena spricht ausschließlich Russisch, der Erzieher Michael ausschließlich Deutsch: „So hören und erleben die Kinder den ganzen Tag über beide Sprachen in der Kita. Und sie bauen sich automatisch, ohne Unterricht, einen Wortschatz zu alltagsrelevanten Themen auf.“ Dabei ist wichtig, dass jede Sprache durchgängig gesprochen wird. Was wiederum bedeutet, dass zum Beispiel Lena immer auf Russisch antwortet, selbst wenn sie auf Deutsch oder in anderen Sprachen angesprochen wird. Gleiches gilt andersherum für Michael. Auf diese Weise werden die Kinder dazu angeregt, in jeder Situation eine Lösungsstrategie zu entwickeln, falls es Verständnisprobleme gibt. Ebenso konsequent sind auch alle anderen Fachkräfte der Kita, nicht nur in den Immersionsgruppen: „Jeder Person im Team ist eine bestimmte Sprache zugeordnet, um Verwirrung zu vermeiden. Den Kindern muss jederzeit klar sein, wer was spricht“ so Flessner.

Sprachbildung in der Kita gestalten

Wie gelingt eine wirkungsvolle sprachliche Bildung von Kita-Kindern? Wie lässt sich der nahtlose Übergang der sprachlichen Bildung von der Kita in die Grundschule umsetzen? Wie erfolgt die sprachliche Bildung in Deutsch und den Herkunftssprachen mehrsprachiger Kinder? Und können die Eltern aktiv an diesen Prozessen beteiligt werden? Antworten auf diese Fragen fanden die Akteure von „Bildung braucht Sprache“, einem Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Stiftung Mercator. Diese finden Interessierte hier.

Intuitiv und ohne Druck lernen

Während der Kleine Globus mit dem Immersionsansatz bisher eine von sehr wenigen Kitas in Dresden ist, bieten bundesweit immer mehr Einrichtungen diese Art der frühkindlichen Sprachförderung an. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Im ‚Sprachbad‘ können sich schon kleine Kinder eine neue Sprache intuitiv und ohne Druck aneignen – ähnlich wie beim Erwerb ihrer Muttersprache“, verdeutlicht die Logopädin. Bei der Kita-Anmeldung können die Eltern wählen, ob ihr Kind eine englisch-deutsche, russisch-deutsche oder eine rein deutschsprachige Gruppe besucht. Da in Dresden zahlreiche russischsprachige Familien leben, ist das Interesse an entsprechenden Gruppen groß. Doch nicht immer ist eine der beiden Immersionssprachen auch die Familiensprache. Für viele Kinder im Kleinen Globus sind Englisch oder Russisch neben dem Deutschen sogar die Dritt- oder gar Viertsprache.

Wertschätzung aller Sprachen und Akzente

Die Jungen und Mädchen im Kleinen Globus sprechen insgesamt 27 Sprachen – was auch daher kommt, dass der Ausländerrat Dresden e.V. als Träger der Kita fungiert. Das Personal bestärkt die Familien darin, untereinander wie gewohnt in ihrer Muttersprache zu sprechen. Gleichzeitig fließen die vielen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen bei Spielen, Festen oder Vorlesestunden der Eltern ins Kita-Leben ein. „Wir sehen die Familiensprache zum einen als wichtige Basis für die Zweit-, Dritt- oder Viertsprache und zum anderen als unerlässlichen Teil der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung. Gleichzeitig wollen wir bei den Kindern und Eltern Interesse an anderen Kulturen wecken und Freude an der sprachlichen Vielfalt vermitteln“, sagt Katja Flessner. Bei Aushängen, Elternbriefen oder auf Elternabenden kommen wiederum Dolmetscher zum Einsatz, so dass wichtige Informationen auch richtig ankommen.

Viersprachig informiert: Kalender basteln im Elterncafé (Foto: Kita Kleiner Globus Dresden).

Wie die Familien stammt auch das Kita-Personal aus unterschiedlichen Kulturen und spricht nicht immer fehler- und akzentfrei Deutsch. „Für uns ist das gut und natürlich“, findet die Logopädin. „So hören die Kinder und Eltern, dass das Personal ähnlich Deutsch spricht wie sie selbst. Sie verlieren mögliche Berührungsängste. Und sie merken, dass man eine neue Sprache nicht perfekt können muss, um sie anzuwenden.“

Wie Kinder das „Sprachbad“ erleben

Wie in einem Bällebad ist den Kindern selbst nicht bewusst, dass ihre Sprachkenntnisse im Kleinen Globus besonders gefördert werden. Denn der Spracherwerb an sich wird nicht zum Thema gemacht. Im Hintergrund achtet das Personal der Immersionsgruppen aber sehr wohl darauf, dass die Kinder zu beiden Sprachen Zugang finden. Wenn sich beispielsweise ein russischsprachiges Mädchen sehr an einer gleichsprachigen Erzieherin orientiert, weil diese zum Beispiel mehr bastelt, versucht wiederum die deutschsprachige Fachkraft, ähnliche Angebote zu machen oder das Mädchen über individuelle Interessen intensiver anzusprechen.

Wandplakat mit Grüßen aus Bolivien (Foto: Kita Kleiner Globus Dresden)

„Die Familiensprache ist wie eine Art Schutzraum für die Kinder. Sie öffnen sich einer neuen Sprache vor allem dann, wenn sie darin auch für sie interessante Beschäftigungsangebote und persönliche Beziehungen finden“, erklärt Katja Flessner. „Daher ist es für das Personal wichtig, immer auf die Bedürfnisse der Kinder zu schauen.“ Deshalb gelten neben allen sprachpädagogischen Überlegungen auch Ausnahmen: Muss ein Kind akut getröstet werden, wechseln die Fachkräfte bei Bedarf unabhängig von ihrer Zuteilung in die Muttersprache des Kindes. „Es gibt keine festen Regeln zur Umsetzung von Immersion. Jede Kita findet ihren eigenen Weg. Ähnlich wie Familiensysteme ihren persönlichen Weg im Umgang mit Mehrsprachigkeit finden.“

Welche Fragen die Eltern haben

Viele Mütter und Väter, die ihre Familiensprache in den Immersionsgruppen wiederfinden, schätzen es, dass ihren Kindern die Eingewöhnung in der vertrauten Sprache leichter fällt und die Familiensprache anerkannt und wertgeschätzt wird. Einige erkundigen sich, ob die Mehrsprachigkeit manche Kinder nicht überfordere. Etwa dann, wenn diese sich in der Familie und in den Immersionsgruppen gleich drei Sprachen aneignen. Manche Mütter und Väter wollen wissen, ob ihre Kinder zum Ende der Kita-Zeit im Deutschen fit genug sind für die Schule. Solche Bedenken nimmt das Personal ernst, kann aber beruhigen: „Ein gutes Netzwerk in und um unsere Einrichtung herum, ermöglicht einen intensiven Blick auf jedes einzelne Kind. So arbeiten wir multiprofessionell und interkulturell zusammen. Unsere mehrjährige Erfahrung, der Austausch mit anderen Einrichtungen und die Forschung bestätigen, dass Mehrsprachigkeit kein Hindernis in der Entwicklung ist, sondern stets eine Chance und vor allem Normalität“, erklärt Katja Flessner. „Jedes Kind hat sein eigenes Tempo und wir ermutigen die Eltern, ihm die Zeit zu geben, die es braucht.“ Das Kita-Team hofft vor allem eines: „Dass die Kinder mit dem Fundament einer sicheren Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung sowie einer großen inneren Offenheit in die Schule gehen.“

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