neun − sieben =

achtzehn − 16 =

Welche Kita passt am besten zu uns und unserem Kind? Bei der Wahl der Betreuungseinrichtung spielt die pädagogische Ausrichtung eine wichtige Rolle für Eltern. Hier den Überblick zu bewahren, ist gar nicht so einfach. Denn es existieren zahlreiche gute pädagogische Ansätze für die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in Kitas.

In unserer Beitragsreihe stellen wir die Besonderheiten der verschiedenen Betreuungskonzepte vor und zeigen anhand eines praktischen Beispiels, wie Kinder und Eltern im Kita-Alltag von der jeweiligen pädagogischen Ausrichtung profitieren.

Teil 10: Die Waldorf-Kita

Rhythmus, Nachahmung und fantasiereiches Spiel

Die Waldorfpädagogik ist Teil eines anthroposophischen Weltbildes, das zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Rudolf Steiner geprägt wurde. Er gründete 1919 die erste Waldorfschule. Inzwischen gibt es weltweit über 1.200 Waldorfschulen und etwa 2.000 Waldorfkindergärten. Weil die Waldorfpädagogik davon ausgeht, dass Kinder in den ersten sieben Lebensjahren vor allem Erwachsenen nachahmen wollen, fungieren die Kita-Fachkräfte bewusst als Vorbild – sowohl in ihren Alltagshandlungen als auch in ihrer sozialen Haltung. Die Kinder sollen freiwillig und selbstständig nachahmen, spielen und lernen, weshalb sie in den Einrichtungen viel Zeit und Raum für freies Spiel erhalten.

Sowohl die räumliche Umgebung, idealerweise die Natur, als auch die Spielsachen haben möglichst keine feste Funktion, so dass diese nur mit Phantasie ausgestaltet werden können und vielseitig anregen. So findet man in Waldorfkindergärten beispielsweise statt einer vorgefertigten Feuerwehrstation eher Materialien wie Holz, Tücher, Zweige, Wolle oder einfache Puppen, mit denen die Kinder an einem Tag Feuerwehr, am anderen Tag aber etwas ganz anderes spielen können.

Typisch für Waldorfkindergärten sind auch die Geschichten, Lieder und Gedichte, zu welchen sich die Kinder rhythmisch bewegen, sowohl in Raumbewegungsspielen, als auch in Handgestenspielen. Neben dem körperlichen Rhythmus spielt auch die zeitliche Wiederholung eine große Rolle: Alltägliche Rituale, hauswirtschaftliche und handwerkliche Tätigkeiten sowie Spiele werden im Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahreslauf bewusst immer wieder wiederholt, um den Kindern Geborgenheit zu vermitteln und sie zum Nachahmen anzuregen.


Die Waldorf-Kita in Bildern

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3 Fragen an eine Waldorf-Kita

Waldorfkindergarten Bilohe, Osterholz-Scharmbeck

Die ländliche Lage und der naturnahe Garten sind ideal für den Waldorfkindergarten Bilohe, der nahe der niedersächsischen Stadt Osterholz-Scharmbeck liegt. Die Einrichtung wird von 35 Kindern besucht und war unter den Nominierten des Kita-Preises 2021. Was die konzeptionelle Ausrichtung für den Kita-Alltag bedeutet und wie die Kinder von der Waldorfpädagogik profitieren, erzählt uns die Leiterin der Einrichtung, Berit Keller, in einem Interview.

Worin sehen Sie die Stärken einer Waldorf-Kita?

Die Kinder sind immer dabei, wenn wir Erwachsenen als Vorbilder sinnvoll tätig sind. So können sie nicht nur alles, was um sie herum passiert, gut nachvollziehen, sondern haben irgendwann auch von selbst das Bedürfnis, mitzumachen. Das Meiste müssen wir also nicht umständlich erklären, sondern einfach nur regelmäßig tun, dann lernen die Kinder es von selbst.

Es ist uns wichtig, dass die Menschenkunde Rudolf Steiners keine reine Theorie bleibt, sondern sich durch den Alltag zieht. So achten wir auf die Wiederholungen im Tages-, Wochen- und Jahresrhythmus, damit sich die Kinder mit den Dingen verbunden fühlen und Geborgenheit erleben. Die Tage und Wochen lassen sich beispielsweise gut anhand der Mahlzeiten und der einem Tag zugeordneten Tätigkeiten strukturieren. Die Kinder bereiten alles mit uns vor und lernen durch die Wiederholung, beispielsweise des Essensplans, nicht nur die Zubereitung, sondern auch den Wochenrhythmus. So gibt es beispielsweise am Montag Reis mit unterschiedlichen Beilagen, am Dienstag backen wir Brötchen, am Mittwoch gibt es Müsli und so weiter. Diese Struktur verinnerlichen die Kinder, sie sagen: „Am Brötchentag fahren wir immer draußen Roller“ oder „Am Müslitag kommt die Eurythmistin und wir malen Aquarell“. Durch den meist gleichen Tagesablauf wissen die Kinder jeden Morgen, was der Tag in etwa bringt.

Wie leben Sie das Waldorf-Konzept im Kita-Alltag?

Wir beginnen jeden Tag etwa um acht Uhr mit Liedern und Handgestenspielen, diese wiederholen wir ungefähr einen Monat lang, damit die Kinder alles gut verinnerlichen. Danach malen wir für eine kurze, aber sehr intensive Weile. Etwa um halb neun beginnt die Freispielzeit. In dieser entscheiden die Kinder selbst, ob sie uns bei hauswirtschaftlichen oder jahreszeitlichen Tätigkeiten begleiten oder lieber spielen wollen. Wichtig ist, dass das Spiel wirklich frei ist. Deshalb haben wir auch keine vorgefertigten Spielsachen wie Autos, denn diese lassen sich nicht verwandeln. Stattdessen stellen die Kinder Stühle hintereinander auf oder reihen Steine aneinander, wenn sie Auto spielen. Plastik ist zwar nicht verboten, aber wir bevorzugen Naturmaterialien wie Steine, Holz, Sand oder Tücher. Diese vermitteln den Kindern einen realistischeren Eindruck von Struktur und Gewicht.

Nach der Freispielzeit räumen wir gemeinsam auf und gehen in einen sogenannten Reigen, singen und machen Bewegungsspiele, bevor wir frühstücken. Danach gehen wir spazieren, meistens im nahegelegenen Wald. Den Rest des Vormittags verbringen wir im Garten. Weil wir dort zwei Ponys, zwei Hühner und einen Hund haben, bekommen die Kinder mit, wie wir uns um die Tiere kümmern und lernen, wie man Verantwortung übernimmt. Reiten dürfen sie natürlich auch.

Vor dem Mittagessen führen die Erzieherinnen immer ein kleines Tischpuppenspiel auf, nach dem Essen machen wir eine Schlaf- und Ruhephase. Wenn wir beispielsweise etwas weben oder stricken wollen, holen wir zunächst Rohwolle von einem Schafzüchter, waschen, zupfen und spinnen diese. So erleben die Kinder, wie mühsam es eigentlich ist, ein gutes Kleidungsstück zu machen. 

Wie werden die Kinder und Eltern mit einbezogen?

Wir bieten den Kindern den Schutzraum, in dem sie nichts Vorgefertigtes davon abhält, selbst zu lernen. In unserem Garten, der Werkstatt und den Räumlichkeiten lassen wir ihnen alle Freiheiten und ermöglichen ihnen, sich auszuprobieren und selbstbestimmt tätig zu sein. Es ist uns wichtig, dass die Kinder selbst auch den richtigen Zeitpunkt wählen, wann sie bei einer bestimmten Aktivität mitmachen. Deshalb bieten wir die meisten Projekten auch vier Wochen lang immer wieder an, und nach einem Jahr noch einmal. Früher oder später – und wenn auch erst im zweiten Jahr – macht jedes Kind mit. In der Wiederholung und dem Rhythmus sehen wir die Voraussetzung für selbstgesteuertes, intrinsisches Lernen.

Wir arbeiten eng mit den Eltern zusammen und verstehen uns als Erziehungsgemeinschaft. Die Väter und Mütter füllen unseren Kindergarten mit ihren Ideen und ihrem Engagement – jede Familie hat eigene Aufgaben, die sie selbst nach ihren Möglichkeiten auswählen. So übernehmen Eltern den Einkauf für die Gruppe, machen kleinere oder größere Reparaturen, kümmern sich am Wochenende um die Tiere oder arbeiten im Verwaltungsrat mit. Man spürt das Zusammengehörigkeitsgefühl und man merkt auch, wie stolz die Kinder sind, wenn ihre Eltern über den Kita-Alltag Bescheid wissen und aktiv tätig sind. Ein Vorteil des Waldorf-Konzepts ist, dass wir uns mit den Eltern auch inhaltlich austauschen können, da diese sich meistens bewusst mit unserer Pädagogik auseinandersetzen und diese mit der Anmeldung ihres Kindes bewusst mittragen. Manche Familien wiederholen Dinge, die sie aus der Kita kennen und gut finden, auch zuhause. Das können nicht nur Lieder sein, sondern auch Verhaltensweisen. Wir beziehen die Kinder und Eltern in unsere geistige Welt mit ein, sie erleben diese ja automatisch im Alltag mit. Was sie am Ende davon übernehmen wollen, steht ihnen natürlich vollkommen frei.


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