Unsere Reportage zeigt Raum für Raum, was Kinder in einer anerkannten Bewegungskita erleben und welche Rolle die Eltern dabei spielen.
Platz da! – Bewegung und Begegnung im Flur
Zwei Jungen laufen hintereinander her, klettern auf ein Holzhäuschen und rutschen wieder hinunter. Schlängeln sich vorbei an einem Mädchen in einer Hängeschaukel und an einem kleinen Jungen, der vorsichtig über einen Hindernisparcours balanciert. Gehen etwas langsamer vorüber an drei Winzlingen, die mit Puppenwagen und Bobbycar um die Wette fahren. Und gelangen zu einem Mädchen, das seelenruhig inmitten des bunten Treibens einen Turm aus Würfeln baut. Die Jungen holen sich einen Schaumstoff-Reifen und rollen sich gegenseitig darin herum. Die Kita-Fachkräfte behalten bei alledem den Überblick und animieren die Kleinen zum Schaukeln, Klettern, Rutschen und Bauen.
Die Kinder der Villa Sonnenburg im rheinland-pfälzischen Hanhofen spielen gerade nicht etwa draußen, sondern im großen Flur der Einrichtung, einer anerkannten Bewegungskita Rheinland-Pfalz. In einer Bewegungskita steht die freie und angeleitete Bewegung der Kinder im Mittelpunkt des Kita-Alltags und der Raumgestaltung. Der helle, großzügige Flur der Villa Sonnenburg ist eine Art Begegnungsstätte, für alle die sich bewegen, verstecken, ausprobieren – oder auch mal ausruhen wollen. „Um die Ausrichtung unserer Kita für alle greif- und erlebbar zu machen, haben wir das Bewegungskonzept heruntergebrochen auf das, was in unserem Rahmen möglich ist“, erzählt Martina Henkel, die Leiterin der Villa Sonnenburg. „Und das sind eben nicht nur die großen, geplanten Bewegungsaktionen, sondern insbesondere die alltäglichen, individuell erlebten Situationen.“ Die Kita-Fachkräfte sind geschult darin, den Kindern immer wieder neue Bewegungsimpulse zu geben.
Grünes, gelbes und rotes Essen – gesunde Ernährung im Essbereich
Weiter vorne im Flur, im Essbereich, geht es ruhig zu. An einem niedrigen, dreifarbigen Tisch laden sich die Kinder ihr Essen selbst auf die Teller. „Was auf dem Grünen steht, können wir essen so viel wir wollen“, erklärt ein kleines Mädchen. „Von dem gelben nicht so viel und von dem roten nur eins“. Auf den verschiedenfarbigen Tischplatten – entsprechend der Ernährungspyramide – stehen Gemüse, Obst, Müsli, Brot und Marmelade. Eine Mutter übt mit einem kleinen Jungen, ein Brot zu schmieren, eine andere Mama schnippelt Gurken.
Die ausgewogene Ernährung hat einen besonders hohen Stellenwert in einer Bewegungskita. „Wenn die Kinder eine gesunde Lebensweise lernen sollen, müssen Bewegung und Ernährung Hand in Hand gehen“, verdeutlicht Martina Henkel. So nimmt die Einrichtung auch am rheinland-pfälzischen Coaching-Projekt Kita isst besser teil (Infokasten am Ende des Textes). In der Küche der Villa Sonnenburg wird jeden Tag frisch und abwechslungsreich gekocht. Darüber hinaus kümmern sich je zwei Eltern abwechselnd um das Kita-Frühstück. Sie bringen Rezepte mit, bereiten alles vor und betreuen die Kinder am Buffet. „Die Idee mit dem gemeinsamen Frühstück entsprang unserem Wunsch, die Milchschnitten und Schneckennudeln aus den Brotdosen zu verbannen“, berichtet die Kita-Leiterin. „Es reicht nicht aus, allein den Kindern gesunde Essgewohnheiten beizubringen. Wir wollen auch die Eltern mit ins Boot holen.“ Offenbar mit Erfolg: Viele Jungen und Mädchen fordern auch zuhause Paprika mit Dip „wie im Kindergarten“ ein oder erzählen ihrem Papa, wie viele Zuckerwürfel in seinem Nutellaglas stecken, so wie sie es in einem Kita-Projekt erfahren haben.
Über das besondere Engagement für Kinder und Eltern sowie den Weg zur Kita-Zertifizierung: Drei Fragen an Maike Brancaccio, Referentin des Vereins Bewegungskindertagesstätte Rheinland-Pfalz e. V. |
Was kann ich schon alles? Motorische Fähigkeiten im Sportraum üben
Tiergeräusche dringen aus dem Turnraum: Die Kinder galoppieren als Pferde im Kreis, jagen sich als Löwe auf allen Vieren, stampfen wie Dinos umher und hüpfen wie Frösche auf und ab – natürlich mit entsprechend lauten Tiergeräuschen dazu. Die Erzieherin begleitet sie auf dem Tamburin und ermutigt jedes Kind, einen eigenen Tier-Vorschlag zu machen. Geduldig wartet sie, bis alle einmal versucht haben, auf einem Bein im Kreis zu hüpfen und unterstützt die Kleinen dabei. Nach dem Aufwärmen bauen sich die Kinder verschiedene Stationen zum Klettern und Balancieren auf. Zeitgleich machen sich ein paar größere Mädchen und Jungen mit ihrem Erzieher auf den Weg in die Sporthalle der benachbarten Schule, um dort den Platz und die Geräte zu nutzen.
Angeleitete Bewegungs- und Spielangebote haben einen festen Platz im Wochenplan in einer Bewegungskita. Dabei sollen Spiel und Sport nicht nur die Entwicklung und Bildung fördern, sondern auch die Übergänge, etwa von der Kita in die Schule. „Wir wollen die Kinder neugierig machen und sie ermutigen, immer wieder Neues auszuprobieren, es zu üben und dadurch stark und selbstbewusst zu werden“, sagt Martina Henkel. Für die Jüngeren reicht der kleine Turnraum in der vertrauten Kita-Umgebung aus, die Größeren sind stolz darauf, die Schulturnhalle zu besuchen. Dabei lernen sie automatisch die Wege und Räumlichkeiten kennen. Außerdem kommen die Vorschulkinder in Schnupper-Unterrichtsstunden auch mit den Schulkindern in Kontakt, so dass die meisten keine Scheu vor dem Wechsel in die Schule haben.
Klettern, basteln oder lieber kuscheln? – Individuelle Förderung in den Gruppenräumen
Nach dem gemeinsamen Morgenkreis können die Kinder selbst entscheiden: Wer möchte in den Turnraum? Wer möchte bauen? Wer kommt mit zur Drachenburg? Im Nestbereich klettert ein kleiner Junge eine niedrige Holzrutsche verkehrt herum hoch, ein anderer verzieht sich in die Schlafhöhle. Im Bauraum entsteht ein hoher Lego-Turm, zwei Mädchen tanzen im Flur ihren Lieblingstanz vom Discobär vor. Ein Stockwerk darüber trocknet ein selbstgebautes Pferdchen auf einer Werkbank, ein Mädchen bastelt einen Papierschmetterling. Im Hintergrund dreht sich eine verkleidete Prinzessin vor dem Spiegel. Ein Junge zeigt den Eingang zu einer riesigen Drachenburg aus Holz: „Den haben die Mamas und Papas gebaut“, berichtet er.
Eine Bewegungskita bringt durch ihre Raumgestaltung zum Ausdruck, dass Bewegung und Spiel Basis für eine ganzheitliche Entwicklungsförderung sind. Die thematisch unterschiedlich ausgestatteten Gruppenräume der Villa Sonnenburg geben den Kindern die Möglichkeit, das zu tun, worauf sie gerade Lust haben. Sie finden überall den Platz, sich zu bewegen, müssen dies aber auch nicht immer tun. Es gibt einen etwas geschützteren Nestbereich für die Kleinen und einen Bereich für Kinder über vier Jahren. Das Lieblingszimmer aller Kinder ist der Raum mit einer riesigen Holzburg, die sich über beide Stockwerke der Kita erstreckt und mit verschiedenen Ein- und Ausgängen, Ebenen und Nischen zum Kriechen, Klettern oder Verstecken einlädt. „Eigentlich wussten wir erst einmal nicht, was wir ohne Geld und ohne Material mit diesem großen Raum anfangen sollten“, erinnert sich Martina Henkel. „Dann haben sich die Eltern zusammengetan, gespendet und gebaut… und so ist es der schönste Raum der Kita geworden.“
Schneeballschlacht ohne Schnee – „Unser“ Naturgarten
Obwohl es an diesem Wintertag sehr kalt ist, wollen die Kinder raus in den Garten und eine Schneeballschlacht mit ihren Erziehern und Erzieherinnen machen. Dass fast kein Schnee mehr liegt, stört keinen. Aufgedreht schieben die Kinder und Erwachsenen die letzten Reste Schnee zusammen, bewerfen sich damit („aber nur auf die Beine und den Rücken!“) und jagen sich quer über den gefrorenen Rasen, bis sie nach Luft schnappen. Zwei Mädchen spielen versteckt hinter einem Grashügel „Anna und Elsa“, ein Junge hangelt sich an einem Seil entlang über einen Baumstamm, zwei weitere nehmen das Baumhaus in Beschlag.
Die Kinder einer Bewegungskita verbringen täglich Zeit an der frischen Luft – egal wie das Wetter ist. Das große Außengelände mit Rasen und Sandflächen, das die gesamte Kita umgibt, bietet ausreichend Platz zum Rennen, Hangeln, Klettern und Verstecken. Wie die Drachenburg im Haus konnte auch der naturnahe Garten nur mit Unterstützung der Familien angelegt werden. Eltern, Kinder und Fachkräfte haben dafür viele Wochenenden in dem Garten verbracht, gemeinsam gebaut, gespielt und Lebensmittelspenden der örtlichen Bäcker und Metzger verkauft. So konnten sie die Spielgeräte finanzieren, die sich die Kinder gewünscht haben. „In dem Gelände stecken über 1.000 Arbeitsstunden der Eltern“, berichtet Martina Henkel „Deshalb sagen nicht nur die Kinder, sondern auch die Mütter und Väter zurecht ‚Das ist unser Garten‘.“
Galerie: Die Villa Sonnenburg in Bildern
Bewegungskonzept lebt auch vom Elternengagement
Bewegungskitas bieten den Eltern regelmäßig Informations- und Mitmachtage im Zusammenhang mit Bewegung und Gesundheit an, so auch die Villa Sonnenburg. Doch hier geht die Mitwirkung der Familien über das Nötigste hinaus, wie die Kita-Leiterin verdeutlicht: „Unsere Eltern sagen nicht ‚Hier ist mein Kind, macht was daraus‚ ich backe gern mal einen Kuchen‘, sondern sie identifizieren sich mit unserem pädagogischen Konzept und machen mit, wo sie können.“ Wie ein roter Faden zieht sich das Eltern-Engagement durch die Einrichtung und trägt dazu bei, dass ein wichtiger Transfer stattfindet: Die Kinder erleben nämlich, dass Bewegung und gesunde Ernährung nicht nur in der Kita, sondern auch im normalen Alltag wichtig sind, Gemeinschaft stiften und Spaß machen.
Gesundheitsförderung durch Bewegung und Ernährung bringt viele Vorteile für Kinder, Eltern, Team und Träger. Deshalb arbeiten viele Kitas nach diesen oder ähnlichen pädagogischen Konzepten. Es gibt zahlreiche bundesland-spezifische Förderprogramme wie die oben beschriebene zertifizierte Bewegungskita Rheinland-Pfalz oder die Coaching-Initiative Kita isst besser.
Angebote, wie beispielsweise des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft oder von privaten Initiativen wie der Gemüseackerdemie richten sich an Kitas bundesweit. Immer häufiger bieten auch Krankenkassen und Sportvereine spezielle Gesundheitsförderprogramme für Kitas an.